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Rezension || Das halbe Haus | Gunnar Cynybulk

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Aus einem kleinen Fehler kann man stets einen ungeheuerlich großen machen, wenn man auf ihm beharrt, wenn man ihn tief begründet, wenn man ihn zu Ende führt. Zitat Seite 43

Ein kleiner Einblick in den Klappentext:

Geschichte geht durch diese deutsche Familien, die eigentlich eine halbe ist: Großmutter, Vater, Sohn. Krieg und Vertreibung haben sie zersplittert. Obwohl sie vom Schwarzen Meer stammt, zieht es sie in Zeiten des Kalten Krieges in den Westen. Vor allem der Vater, Frank Friedrich, träumt von den Brücken in Paris. Er drängt seine Mutter Polina, im Dezember 1981 aus der DDR in die Bundesrepublik überzusiedeln, und hofft auf die spätere Zusammenführung der Familie. Sein Sohn Jakob hat einen anderen Traum: die Kinder- und Jugendsportschule. Dann passiert das Unglück. Frank verliebt sich die schöne Eva, die zu eng mit dem System verbunden ist. Dennoch treibt er sein Freiheitsprojekt voran. Im März 1983 wird er verhaftet.  


Seit dem Morgengrauen ist er wach, aber das haus schläft noch. Es ist ein halbes haus, in dem eine halbe Familie lebt. Die eine Hälfte ist da, die andere weg: gestorben, gefallen und vergessen. Zitat Seite 11   

Meine Gedanken zu dem Buch: 

Zu Beginn möchte ich noch mal betonen, dass die Aktion des Verlages zu diesem Buch mein Interesse geweckt hat und wirklich sehr gelungen ist. Ein Kurzinterview des Autors mit passenden schwarzweiß Fotos und dem Stammbaum geben einen kurzen Einblick und weckten meine Neugierde. Der Erzählstil ist gut durchdacht und erfordert einiges an Aufmerksamkeit. Ein schnelles und leichtes Lesen ist hier nicht möglich. Ich habe mir doch einige Zeit für dieses Werk genommen und bin über den Aufbau und den Verlauf der Geschichte positiv überrascht. Der Autor erzählt eine Geschichte zu Zeiten der DDR aus mehreren Perspektiven. Sowohl die Großmutter Polina mit ihren Kriegserinnerungen, Jakob, der Sohn, der einst Olympiasieger werden wollte und sich dann doch irgendwie verliert und sich dem Anpassungszwang widerstrebt, als auch Friedrich, der Vater von Jakob und einer der Söhne von Polina, der einfach nur aus der DDR weg möchte und letztendlich auch verhaftet wird. All diese Lebensgeschichten sind detailreich erzählt und wirken authentisch. Ebenso die immer wieder auftauchenden Stasi Akten, die dem Leser, wie ich finde, eine kleine Zusammenfassung ermöglichen, erleichtern das Verständnis.

Es ist eine sehr eindringliche und intensive Geschichte, gepaart mit autobiografischen Ereignissen der Familie des Autors. Dieses Werk lässt den Leser nachdenklich und mit einigen offenen Fragen über die damalige Zeit zurück. Selbst Lesern, die wie ich nur Ausschnitte aus Erzählungen der DDR Zeit kennen, die meist und nahezu immer positiv waren, hinterlässt der Roman einen bedrückenden Beigeschmack über die Lebensweise der Bürger damals. Waren tatsächlich alle über die Situation glücklich oder hatten sich einige aufgrund ihrer Anpassung einfach damit abgefunden und gewisse Einschränkungen eher als normal und gesellschaftlich angesehen?

Dieses Buch lässt den Leser all das Herzblut, mit dem es geschrieben wurde spüren. Mehr möchte ich auf die Geschichte gar nicht eingehen und empfehle sie gerne jedem geschichtlich interessierten und aufmerksamen Leser weiter.
 
Herz ist ein Muskel, man kann es trainieren. Er weiß, dass es so kommen wird. Der Trainer wird den Zug verlassen, und allein wird er über die Grenze fahren. Er wird Minigolf spielen, Popcorn essen und eine Kartbahn besuchen. Jede Woche wird er die Bravo kaufen. Er wird über den Christkindlmarkt schlendern und in Bad Itz die Lichtertanne bestaunen, die fast so hoch ist wie ihr altes Haus. Am Anfang wird ihm blümerant sein und dann nicht mehr. Er würde jetzt wirklich gern heulen, damit seine Augen so weh tun wie sein Herz. Zitat Seite 572  

Kurz & gut - mein persönliches Fazit: 

Ich kenne Geschichten aus der ehemaligen DDR nur aus Erzählungen von Freunden, meiner Schwägerin und ihrer Familie. Ich habe allerdings auch noch nie jemand kennengelernt, der je schlecht über seine Zeit in der ehemaligen DDR gesprochen hat. Gunnar Gynybulk Schreibstil fesselt einen ab der ersten Seite. Trotz dem mehrmaligen Wechsel der Erzählform, verschenkt der Leser nicht einen Moment der Aufmerksamkeit. Ein überaus gelungenes Debüt. Ehrlich, offen und bestückt mit eigenen Familienereignissen und Erzählungen des Autors. Bereits das Kurzinterview des Autors hatte meine Neugier auf diese Geschichte geweckt. Mich persönlich würde allerdings noch eine Frage interessieren. Ich habe auch mal in Leipzig gelebt und ich wüsste gerne, ob der Autor am Anfang vom Scherbelberg in Leipzig spricht? Dem Berg, von dem man über die ganze Stadt sehen kann. Dieses Buch werde ich gerne an meine Erzählquellen aus vergangenen Tagen empfehlen und natürlich auch all denen, die sich schon immer dafür interessiert haben, wie das Leben der Menschen hinter der Mauer war. Von diesem Autor möchte ich definitiv gerne mehr lesen.   
© Rezension: 2014, Aygen (AE)
06.03.2014 / Hardcover / 576 Seiten  
ISBN 13: 978-3-8321-9723-0
Print: € 22,99 [D] eBook: € 18,99 [D] *Preis zum Zeitpunkt der Rezension 

Quelle Coverbild: © Website Dumont Verlag, mit freundlicher Genehmigung des Verlages.
Buch Zitate: © Gunnar Gynybulk
 

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